Lebenszeichen und Protest – Bericht in der RNZ
Das Kreuz in Theologie und Kunst war Thema in der katholischen Pfarrkirche
Hirschhorn. Die Katholische Kirche kennt Feste, von denen sich vermutlich nur die wenigsten auch allgemeiner Bekanntheit erfreuen. Das Fest Kreuzerhöhung zum Beispiel. Es wird am 14. September gefeiert – jenem Tag, als im vierten Jahrhundert nach Christus Kaiser Konstantin eine Basilika über dem Heiligen Grab in Jerusalem einweihte und dabei das Kreuz Christi hoch erhoben den Gläubigen zur Verehrung zeigte. Seitdem ist das Kreuz das Zeichen der Christen, sagte Pfarrer Udo Mayer an diesem Festtag, es war der letzte Freitag, abends in der Pfarrkirche Maria Immaculata. Hier bot sich Gelegenheit, sich dem auf eine ebenso ausgefallene wie lebendige Weise zu nähern. Die Kirchengemeinde und die „Freunde der Hirschhorner Altstadt“ veranstalteten einen von Künstler Ludwig Schmeisser konzipierten Dialog, in dem es um das Zeichen des Kreuzes in Theologie und Kunst ging. Und um die zugrunde liegende Frage: Was war uns dieses Kreuz über die Jahrhunderte – und was ist es uns heute?
Ludwig Schmeisser und Geistlicher Rat Udo Mayer, die sich hier an der Kanzel gegenübertraten, üben sich in dieser
Form der offenen Auseinandersetzung schon jahrzehntelang. Denn beide haben ihre Fachgebiete früher am Bunsen Gymnasium in Heidelberg unterrichtet, erklärt Schmeisser auf Nachfrage. Schmeissers zeitgenössisch -künstlerischer
Beitrag zum Kreuzes-Dialog waren drei von den Patres Linto und Joshy ausgewählte Bildwerke. Ausgestellt vor
den Altären, ließen sich an ihnen die unterschiedlichen Betrachtungsweisen von Geistlichkeit und Künstler und
„grundlegende Gedanken zum 20. Jahrhundert“ formulieren.
Über hundert Personen füllten die Pfarrkirche bei diesem besonderen Gottesdienst, schätzt Schmeisser, „fast wie
an Weihnachten!“ Und: „Der Gesprächsbedarf über diese Thematik ist spürbar“. Auch im Anschluss daran im von den
Ehepaaren Schölch und Kittel organisierten Kirchencafe im Zelt, in lockerer Atmosphäre, und später dann bei der Kunstausstellung im Mitteltorturm, der für gewöhnlich nur an besonderen Tagen zugänglich ist. Erfreut stellte
Schmeisser überall lebhaftes Interesse fest.
„Von Anfang an ist das Zeichen des Kreuzes ein Ärgernis“, machte Udo Mayer in seiner Predigt deutlich. Und spannte
einen Bogen durch die Jahrhunderte, der beim gegen die ersten Christen gerichteten Spötterbild begann und bis in
unsere Tage reichte, wo man dem Kreuz je nachdem mit Unverständnis (warum hängen wir nicht lieber Bilder des Auferstandenen, statt des Leidenden auf ?) oder verharmlosend begegne, oder es als kulturkämpferisches Symbol zur Verteidigung des Abendlands gegen die Islamisierung instrumentalisiere. Mayer hält dagegen: „Das Kreuz ist Zeichen des Protests gegen Sünde, Gewalt, Ungerechtigkeit und Tod, kein Zeichen nationaler Identität“.
Als Siegeszeichen beim frühen Fest der Kreuzerhöhung, als Zeichen der Majestät Christi in der Romanik, des Schmerzensmanns in der Gotik bis zum makellos Schönen, in dem die Renaissance das Zeichen der Göttlichkeit erblickte: der Geistliche zeichnete die Blickweisen bis ins 20. Jahrhundert nach, wo er bei den Gläubigen eine Sehnsucht nach dem „solidarischen Jesus“ ausmacht, der „den Menschen gleich wurde“. Und er kommt zu dem Schluss: Jedes dieser Bilder hat seine Richtigkeit, denn Jesu “ Gottsein, aber auch sein Menschsein können wir nicht in einem einzigen Bild ausdrücken“ .
Die theologische Sichtweise kommt bei ihm auch im Blick auf Ludwig Schmeissers Bildwerke zum Tragen. Mayer
deutet deren Farben symbolisch, erkennt in Rot, Grün, Schwarz, Weiß Gewalt, Liebe, Hoffnung, Tod, Leben Auferstehung; wo er Unruhe und Bewegung spürt, stellt sich ihm die Frage, ob da ein Mensch zu sehen ist, der „sein Kreuz, sein Leid, die Dunkelheit des Lebens fliehen möchte?“
Schmeissers Arbeiten sind Assemblagen, also plastische, aus unterschiedlichen Einzelteilen und Materialien gefertigte
Gebilde mit überraschender Gesamtwirkung, wie er selbst diese Formensprache erklärt. Sich in einer neuen, die Vielfalt des Überkommenen widerspiegelnden Formensprache auszudrücken, „eröffnet dem Künstler ganz neue
Gestaltungsmöglichkeiten „. Dies entspreche der grundlegend geänderten Situation des Künstlers in der Moderne.
Denn: Es ist die individuelle Persönlichkeit, die die Inhalte seiner Arbeiten heute präge – auch bei religiösen Themen.
„Der Künstler ist sein eigener Auftraggeber“. So wie Schmeisser selbst seine „Gebilde“ beschreibt, ist es am Ende Sache des Betrachters, wie er diese interpretiert. Er als Künstler liefere Kompositionen, deren es am Ende Sache des Betrachters, deren Einzelteile „ganz unterschiedliche Geschichten erzählen“, mit vielschichtigen „inhaltlichen etwa, diesem Relief aus gesammelten Fundstücken: Schwemmholz, verschieden bearbeitete Holzplatten, darunter das Brett einer russischen Munitionskiste, das an der Atlantikküste angespült wurde. Schmeisser selbst sieht in diesem Kreuz ein Symbol des Lebens.
Quelle: Rhein-Neckar-Zeitung,
Region Eberbach
Datum: 17.09.2018
Redakteur: Jutta Biener-Drews
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