Das Internet läutet die Zukunft der Vergangenheit ein – Artikel in der RNZ
Hirschhorn. „Wir haben jetzt sogar einen Auftritt im Internet“, verkündet Reiner Lange, frischgebackener Vorsitzender der Freunde der Hirschhorner Altstadt, voller Stolz. Eigentlich kam er zu diesem Posten „wie die Jungfrau zum Kinde“, schmunzelt der hochgewachsene Computerspezialist und Unternehmensberater und blättert in einem wunderschönen Postkartenalbum mit einer sagenhaft kostbaren Sammlung von historischen Schmuckstücken.
Alle Postkarten der unterschiedlichsten Epochen haben eines gemeinsam, Das Motiv: nämlich Hirschhorn. Aus allen Blickwinkeln und Perspektiven, zu jeder Tages- und zu jeder Jahreszeit. Mit Bäumen am Neckarufer, strotzend vor Laub im Sommer, mit dem frostklirrenden Hirschhorn unter einem weißen Laken verborgen im Winter. Schnee zart wie eine Decke aus Puderzucker bestäubt knorrige Äste an der Ersheimer Kapelle, die Burg blickt aus der Höhe stolz auf ihre weiß glasierten mittelalterlichen Fachwerkhäuschen herab.
Alles über Jahre gesammelte und liebevoll-akribisch archivierte Werke von Vater Heinz Lange, der von 1989 bis zu seinem Tode Anfang dieses Jahres Vorsitzender der Altstadtfreunde war. Auf manchen Postkarten sind Dinge zu sehen, die es längst nicht mehr gibt. Das Kriegerdenkmal vom deutsch-französischen Krieg 1870/71 am Anfang der Hauptstraße wurde Opfer der „Erneuerungsmaßnahmen“ der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, zerstört, zerschlagen und weggeworfen wie ein Stück Sperrmüll. Damals dachte man, ein solches Kulturgut sei schlecht und überflüssig, also nur ab mit den alten Zöpfen. Beschämend. „der Kopf des Kriegerdenkmals lag lange Zeit völlig unbeachtet auf dem Bauhof, irgendwann zerschlug man den aber auch noch“, sagt Reiner Lange mit einer Mischung aus Trauer und Verständnislosigkeit.
Zum Glück sind auch diese Zeiten längst Geschichte. Heutzutage besinnt man sich auf zwei der höchsten Kulturgüter überhaupt: die eigene Tradition und die Vergangenheit des Ortes, in dem man lebt, seine Kindheit verbracht hat, zur Schule gegangen ist, eine Familie gegründet hat, wo man zu Hause ist. So wie Reiner Lange, der einst Schüler der Neckartalschule war, durch Studium und Beruf später in vielen Städten zu Hause und doch irgendwie immer unterwegs, und der dorthin zurückgekehrt ist, wo seine Wurzeln sind.
Also lag es ja doch irgendwie nahe, nach dem Tod des Vaters auch dessen Amt als Vorsitzender der Altstadtfreunde weiterzuführen? Schließlich hat er ja die Arbeit des Vaters als kleiner Junge immer direkt verfolgen können.“Man hat mich direkt angesprochen“, schmunzelt Lange. Also, es war sogar ein wenig eindeutiger und frei heraus: „Reiner, du machst Das.“ Und so geschah es dann auch, zum großen Glück. Denn Reiner Lange ist mit seinen Computerkenntnissen für die junge Seite der Altstadtfreunde der große Wurf: der Kalender für 2012 mit Bildern von Hirschhorner Gaststätten, die der Zahn der Zeit verspeiste, und auch die brandneue Homepage entstammen seiner Gestaltung.
„Wir wollen mit dem Internet-Auftritt besonders junge Menschen für unsere Arbeit im Verein interessieren, sie sollen sich stets darüber informieren können, was so in unserer Altstadt passiert.“ Und da tut sich in letzter Zeit einiges: Gaststätten eröffnen, im Winter wird es eine Eisbahn geben. „Hirschhorn: historisch, beschaulich und charmant“, steht auf der Seite der Altstadtfreunde im Internet. Es bewegt sich was.
62 Mitglieder zählt inzwischen der Verein, Tendenz steigend. Das Ziel ist in der Satzung auf sein Wesentliches zusammengefasst: „Das Stadtbild der Altstadt Hirschhorn in seiner Gesamtheit, Wesensart und Struktur zu erhalten, zu pflegen und zu beleben.“ Für Reiner Lange ist dieses Ziel Herzblut und Hobby zugleich, der Ausgleich zu seiner Arbeit als Unternehmensberater. Manchmal sucht er nach Feierabend lange nach Postkarten von Hirschhorn im Internet, die er noch nicht hat. „Ich finde immer was“, freut er sich. Und wenn er abends seine Haustür aufschließt, die des ehemaligen Schulhauses in der Hauptstraße, da, wo die Zeit den Atem angehalten hat, dann tritt Reiner Lange von der Gegenwart in die Zukunft der Vergangenheit.
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